May 15–Jun 15, 2017

Schinkel erhebt sich aus seinem Schrein

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Mon–Thu 12 am–4 pm

Wo ist nur die ZEIT geblieben? Nicht alle Kollegen und Freunde, die für uns das magazin 48/1995 in Kellern und auf Dachböden gesucht haben, wurden fündig – aber jede und jeder konnte sich erinnern. Der Wettbewerb »Vorschläge für einen leeren Ort« hatte damals einen Nerv getroffen.

Die unverdaute Postmoderne rumorte im behäbigen Bauch Berlins, das sich zwischen Spreebogen und Potsdamer Platz daran machte, widersprüchlich weltläufig zu werden. Architektur war die Leitkultur der Neunziger. Fast täglich stoben Schockwellen durch die Feuilletons. Es waren die goldenen Jahre des Architekturstreits – wenn schon seit 1990 die Bauakademie diskutiert worden war, dann auch aus der Sehnsucht nach einer zentralen Bühne dafür. Solange sie ein Wunschbild war, stand ihre Rekonstruktion kaum in Frage: So soll es sein, so wird es sein! Doch als es nach dem Abriss des DDR-Außenministeriums Ernst wurde, wendete sich das Blatt. Die kritische Rekonstruktion des Stadtgrundrisses hatte ein breites intellektuelles Fundament. Dass sich nun jedoch ganz und gar unkritische Klone darin einnisten könnten, erhielt 1993/94 mit Schlossattrappe und Pariser Platz eine verstörende Realität. Über das Adlon mochte man noch sauertöpfisch hinweglächeln, doch Schinkel wog schwerer. Sollte tatsächlich die heilige Bauakademie der Auftakt sein für »dauerhaften Betrug« (Ulrich Conrads)? Die Lager formierten sich und das Feuilleton schoss sich ein: Stadtreparatur oder Geschichtsklitterung? Das Besondere der Bauakademie versank im Grundsatzstreit.
Initiator des ZEIT-Wettbewerbs um die Bauakademie war der Doyen der deutschen Architekturkritik Manfred Sack (1928–2004), dem die »Einfallslosigkeit«, Schinkel aus »Verlegenheit« zu rekonstruieren, mächtig aufstieß. Listig packte er »Architekten und Architekturstudenten« bei ihrer »Courage, es mit Schinkel aufzunehmen«: Eine Bauakademie »in ›Schinkels Geist‹ zu entwerfen, sich zugleich jedoch von ihm frei zu machen und nach Kräften etwas Neues zu finden, das die Gegenwart ausdrückt und in die Zukunft weist«.

Von der Resonanz war er überwältigt: »Über 700 Architekten erbaten sich die kargen Plan-Unterlagen», berichtete Sack gerührt, »225 haben einen Entwurf eingesandt«. Zehn Entwürfe wurden von der prominenten Jury gekürt und zusammen mit einigen Weiteren Ende 1995 im Staatsratsgebäude präsentiert. Das Ergebnis war so bunt wie vorhersehbar: Ironie und schwere Symbolik, Zeitgeistiges und Zeitloses, Mahnungen, inne zu halten und Aufforderungen, noch tiefer zu denken. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt und sicherlich würde heute das Feld noch einmal anders, noch einmal weiter werden. Das Grundsätzliche aber ist längst gedacht: Es lohnt, genau hinzuschauen.