Jan 11–Feb 22, 2019

AND

Intra Space & Head in a Cloud
Address
Im Adambräu, Lois Welzenbacher Platz 1, 06020 Innsbruck Map
Hours
Tue–Fri 11 am–6 pm, Thu 11 am–9 pm, Sat 11 am–5 pm, an Feiertagen geschlossen
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Die Ausstellung AND präsentiert zwei unabhängig voneinander konzipierte, experimentelle Arbeiten, welche die Bedeutung und Funktion von virtuellen und physischen Räumen untersuchen. Der Aufbruch in die Virtualität, den DenkerInnen, DesignerInnen und KünstlerInnen schon seit den 1960er Jahren thematisierten, wird mit modernen technologischen Mitteln umgesetzt. Die installierten Arbeiten geben Einblick in aktuelle, experimentelle architektonische Forschungs- und Entwurfsprozesse. Im Zentrum stehen auditive und visuelle Sinneserfahrungen, die virtuelle Welten als interaktive Wahrnehmungsräume für den menschlichen Körper in Echtzeit erfahrbar machen. Gezeigt werden Rauminstallationen von Valerie Messini und Damjan Minovski (2MVD) sowie von Christina Jauernik und Wolfgang Tschapeller mit dem Projektteam von INTRA SPACE.

Die BesucherInnen changieren zwischen Akteur- und Betrachterpositionen, können in das Geschehen eingreifen und zum bestimmenden Faktor für das Erlebte werden. Der eigene Körper fungiert als „Schwellenzone“, als sensitives, empfindsames Wahrnehmungsorgan. Die Grenze zwischen realen Räumen, virtuellen Architekturen und der eigenen Körperwahrnehmung wird unscharf und provoziert „Spekulationen“ über das Verschmelzen von Körper mit / zu Technologien und Realitäten mit / zu Virtualitäten.

Analog zu „The Powers of Ten“ (1968 – 77) der ArchitektInnen Ray und Charles Eames, dem „TV Helm“ (1967) des Bildhauers und Architekten Walter Pichler, Stanislaw Lems sowie Andrei Tarkovskys Science-Fiction Roman und Verfilmung „Solaris“ (1961 /1972), „Der überreizte Körper als Infrastruktur“ (1994) des Philosophen Paul Virilio, Architekturhistoriker Georges Teyssots „The Mutant Body of Architecture“ (1998), „L’Intrus“ (2000) des Philosophen Jean-Luc Nancy, Biologin und Wissenschaftsphilosophin Donna Haraways „Companion Species“ (2003) und „Leviathan“ (2012) der ethnographischen Filmemacher Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor werden ein technisch durchdrungenes Wesen, veränderte Wahrnehmungsmöglichkeiten, Identitätskonstruktionen und Körper in Bewegung verhandelt und betrachtet.

Dynamische Formen der Interaktion werden erforscht, indem reale Körper in virtuelle Landschaften und virtuelle Figuren in reale Räume projiziert werden. So ergibt sich eine Verschränkung zwischen Virtualität und Materialität, eine Komposition zweier Ansätze, die den menschlichen Körper als Ausgangspunkt und Vermittler betrachten. In virtuellen Raumerfahrungen am eigenen Körper, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen virtueller Illusion und dinglicher Welt, werden Subjekt-positionen multipliziert, verlagert, geteilt und in-Bewegung-gesetzt, wodurch Perspektiven, Identitäten, Objekte und Subjekte zu oszillieren beginnen.

Was findet man in der Virtualität? Noch mehr Dichte, oder endlich Leere? Unser Alltag scheint von Hypereffizienz, Gleichzeitigkeit und Ortlosigkeit durchsetzt. Die stete Ausbreitung des virtuellen Raumes beeinflusst die Wahrnehmung des physischen bzw. des gebauten Raumes. Was sind die möglichen Auswirkungen der Virtualisierung auf das architektonische Denken und die Raumproduktion? Schreiben wir die derzeitigen technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen weiter wie bisher, stellt sich die Frage, welche Rolle die Architektur unter diesen Voraussetzungen spielen wird.

„Understanding Media: The Extensions of Man“ (1964) des Medientheoretikers Marshall McLuhan, der immersive Helm „Head-Mounted-Display“ (1968) zur Simulation dreidimensionaler Umgebung des Ingenieurs und Pioniers der Computergrafik Ivan Sutherland oder auch „Das aufblasbare Büro, für temporäres Arbeiten an den verschiedensten Orten“ (1969) des Architekten Hans Hollein nehmen diese Entwicklung vorweg. Sie sind freidenkerische Erweiterungen des Raums und markieren jenen Quantensprung von der physischen in die virtuelle Welt. Sie behandeln weniger die Psyche des Einzelnen als vielmehr eine Suche nach einer neuen Definition für Raum.

Ist es eine der Aufgaben unserer Zeit, im endlosen virtuellen Raum Momente der Ruhe zu schaffen? Werden sich die Architektur und der Umgang mit unseren Körpern soweit verändern, dass beide Bereiche möglicherweise symbiotische Beziehungen eingehen und damit ihre traditionelle Rolle aufgeben oder vertauschen werden? Muss man die Architektur körperhafter, wie einen „lebenden“ Organismus denken, oder wird unser Körper zunehmend architektonisch wie technisch gestaltet und damit die Raumproduktion eine neue Bedeutung bekommen? Wird der Körper zu einem Phänomen territorialen und technologischen Denkens, der Mensch zu einem unheimlichen Wesen, vertraut und doch so fremd?

towards an intra space
INTRA SPACE ist eine experimentelle Infrastruktur, ein Arrangement aus virtuellen, maschinistischen Figuren, technischem Gerät und menschlichen Körpern. Es fungiert als Modell für Studien über die Wahrnehmung des eigenen und anderer Körper und deren Konstruktionen in einer Verschränkung zwischen virtuellen und physischen Dimensionen. Das Aufeinandertreffen von menschlichen, technischen und virtuellen Sensorien wird in INTRA SPACE vorwiegend über Bewegung verhandelt. Die alltägliche Geste wird zum Auftakt von Blickverschiebungen, extremen Perspektivenwechsel, versetzten digitalen Kameraaugen. Aufgesplittertes Sehen, postsubjektive Maschinenbilder (Weiberg, 2014)1 lagern Körper stetig neu: nicht aufgespannt in geometrische Ordnungen eines Vitruvianischen Mannes oder Corbusiers Modulors, sondern als flickerndes Mischwesen zwischen Übertragungsraten, Bildauflösung, Umgebungslichtschwankungen.

Sind die BesucheInnen der Ausstellung „Hands have no tears to flow“ 2012 bei der Architektur Biennale Venedig auf Körper als Baustellen, als zwischen Identitäten gleitend, getroffen, so rücken diese Körper in die eigene Perspektive (der BesucherInnen), indem sie die räumlichen Bedingungen des virtuellen und realen Raums verschränken. In dieser (Neu-)Lagerung sind die scheinbar gegensätzlichen Räume an die eigenen Körpergrenzen herangerückt und verschwimmen zusehends. Die Kontaktaufnahme und das Kontakthalten findet genau an dieser Schwelle statt, hier hält man sich auf, hier richten sich Figur und BesucherInnen miteinander ein. Die verschränkte Perspektive erlaubt beispielsweise die Platzierung einer Kamera auf der Kniescheibe, oder ins Innere gerichtet, vom Schlüsselbein bis zur Ferse schauend. Sich in etwas hineinversetzen bekommt hier eine physische Dimension, über die gedankliche Anstrengung hinaus, ist man gefordert, Schwerpunkte im Körper zu verschieben, aus dem Gleichgewicht zu bringen, sich zu halten, zu justieren. Mit dem Kameraauge gelingt eine mühelose Durchdringung des Körpers, scheinbar schwellenlos durchzieht man die leeren Innenräume und tritt an anderer Stelle wieder aus der Körperhülle. Was als Durchsichtigkeit erscheint ist tatsächlich eine Verschiebung der Aufmerk-samkeit, der technisierten Konturen des eigenen Körpers und möglichen anderen Körpern in der Umgebung.

INTRA SPACE (gefördert vom österreichischen Wissenschaftsfond FWF) ist eine Echtzeit-  / Raum-installation bestehend aus einem Motion-Tracking- System, Projektionen, Leinwand und Spiegel. Die Industriekameras erfassen die Bewegungen vom Körper im Raum und übertragen diese auf projizierte Figuren. Im Rahmen einer zweijährigen Forschungsarbeit wurde in einem interdisziplinären Team an diesem räumlichen Modell gearbeitet, in engem Austausch mit den Computeringenieuren Nils Hasler des Max-Planck-Instituts und Christian Freude, Tom Tucek mit Michael Wimmer der TU Wien sowie Michael Thielscher und Dennis Del Favero der UNSW Sydney. Animationskünstler Martin Perktold, Architekt Simon Oberhammer, Soundkünstler Dmytro Fedorenko mit Franz Pomassl, die Tänzerin Esther Balfe mit Christina Jauernik haben unter Anleitung von Architekt Wolfgang Tschapeller diese experimentelle Echtzeit- / Raumkonfiguration entwickelt und in unterschiedlichen Stadien Fachpublikum, geladenen Gästen präsentiert, Schulklassen und Studierenden als Werkzeug zur Verfügung gestellt, zu musikalischen Jamsessions geladen oder als interkulturelles, non-verbales Interaktionsmodell für Flüchtlingskinder und Jugendgruppen geöffnet.

1 “Maschinenbilder. Zur postsubjektiven Kamera.” In: Heiko Schmid Et al. (Hg.): Archäologie der Zukunft. Friedrichshafen, Zeppelin Museum 2014

head in a cloud
2MVD (valerie messini, damjan minovski)
Als ArchitektInnen war für Valerie Messini und Damjan Minovski wichtig, einen interaktiv erforschbaren Raum zu schaffen, keine Videoinstallation. Mit einer 3D-Brille werden synthetisch generier-te Raumgefüge und interaktiv programmierte Soundscapes auditiv und visuell in drei Dimensio-nen erlebbar und körperlich wahrnehmbar gemacht. Die BetrachterInnen beeinflussen durch ihre Bewegungen das Gesehene und Gehörte und machen es so zu einer persönlichen Erfahrung, die nicht wiederholbar ist. Situationen unterschiedlicher Maßstäbe, von Objekten und Räumen bis hin zu weitläufigen Landschaften und planetenähnlichen Himmelskörpern, werden ineinander eingebettet und bilden so die virtuelle „Welt“.

Diese virtuelle Welt ist eine Komposition aus realen und fiktiven Objekten und Landschaften. Sie dehnt sich in einem Radius von mehreren Dutzend Kilometern in alle drei Dimensionen äquidistant aus. Unbekannte Sichtweisen auf scheinbar Bekanntes werden durch Maßstabsveränderungen, Überlagerungen und Verfremdungen sichtbar.

Die Darstellungsform löst sich völlig von den Dreiecksmodellen herkömmlicher Computergrafik. An dessen Stelle treten Punktwolken, bestehend aus Millionen einzelner Punkte. Jeder dieser Punkte enthält eine Farb- bzw. Lichtinformation. Die Summe aller Punkte fügt sich zu einem räumlichen Gesamtbild, das viel natürlicher wahrgenommen werden kann als herkömmliche Computergrafik. Nicht alle Bereiche sind gleichermaßen akkurat und dicht dargestellt. Dunkle Bereiche, die bei der Wahrnehmung durch das menschliche Auge verschwimmen würden, lösen sich zunehmend auf. Dadurch ergeben sich Durchsichten, Raumgefüge werden klarer wahrnehmbar.

Die Neugier der BesucherInnen wird geweckt, sie beginnen die Welt zu erforschen. Sie fliegen und steuern mit ihrem Blick. Um größere Distanzen zu überbrücken, können sie sprungähnlich kilometerweite Strecken mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 1km /s zurücklegen. Der Startpunkt ist jeweils eine virtuelle Version des Raumes, in dem die Installation aufgebaut ist. In dieser bekannten Umgebung werden die BenutzerInnen mit dem neuen Medium und den damit verbundenen Möglichkeiten der Wahrnehmung und Bewegung vertraut gemacht. Verlässen sie den virtuellen Ausstellungsraum, öffnen sich ihnen weitläufige urbane, geologische und fiktive Landschaften. In diese sind konstruierte Situationen und Raumgefüge eingebettet, welche sie durch ihre adaptive Detaillierung bis hin zu Oberflächenstrukturen erfahren können.

Die Installation eröffnet einen Einblick in die Möglichkeiten und Freiheiten des virtuellen Raumes. Räumliche Wahrnehmungsprozesse werden untersucht und durch das Medium der virtuellen Realität erweitert – mit dem Ziel, eine neue Sicht auf den gebauten und nicht gebauten Raum zu erlangen. Raum wird frei von Materie gedacht: durch Klang- und Bildgestaltung werden immersive, körperlich spürbare, virtuelle Realitäten entworfen und digital erfahrbar gemacht. Mit dem Aufsetzen der Brille begeben sich die BetrachterInnen in die virtuelle Realität, die sie nun zur Gänze umgibt.