Oct 25–Dec 22, 2018

Asmara – The Sleeping Beauty

Eine Ausstellung kuratiert von Stefan Graf und Peter Volgger
Address
Im Adambräu, Lois Welzenbacher Platz 1, 06020 Innsbruck Map
Hours
Tue–Fri 11 am–6 pm, Thu 11 am–9 pm, Sat 11 am–5 pm, an Feiertagen geschlossen
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Asmara, die Hauptstadt des jungen Staates Eritrea am Horn von Afrika, beherbergt weltweit eines der größten intakten Architekturensembles der klassischen Moderne und wird daher gerne als Zeitkapsel des „Dolce Vita“ der 1930er Jahre bezeichnet. Der modernen Stadtvision des Faschismus entsprechend wurden zahlreiche Bauten zwischen 1935 und 1941 als Regierungssitz der italienischen Kolonialherrschaft errichtet und 2017 von der UNESCO offiziell in die Welterbeliste aufgenommen. Das Erbe umfasst, neben rund 400 Bauten im Stadtzentrum, auch zwei ursprünglich gewachsene Stadtviertel der indigenen Bevölkerung, die in die Stadtplanungen der Kolonialzeit integriert wurden.

Seit der Unabhängigkeit des Staates Eritrea von Äthiopien im Jahr 1993 wurde Asmara sukzessive entdeckt und als „schlafende Schönheit“ bezeichnet, die als Beispiel einer kolonialen Architektur einmalig ist. Kolonialstädte waren häufig Projektionsflächen wie Experimentalräume für moderne Stadtutopien und wurden als Visionen von zukünftigen europäischen Städten errichtet. So wurde Asmara als eine frühe autogerechte Stadt geplant, die damals mehr Ampeln hatte als die italienische Hauptstadt Rom. Angesichts der politischen Umbrüche seit dem Ende der Kolonialzeit muss Asmara aber nicht nur als historisches, sondern auch als gegenwärtig postkoloniales Phänomen begriffen werden. Gegen das Argument, es handle sich ausschließlich um ein Architekturerbe aus der Zeit der Kolonialherrschaft des italienischen Faschismus in Afrika, hebt die UNESCO die Aneignung dieses Erbes durch die eritreische Bevölkerung als einzigartig hervor.

Der im aut gezeigten Ausstellung geht ein vom österreichischen Wissenschaftsfond FWF gefördertes interdisziplinäres Forschungsprojekt voraus. Unter dem Titel „Die Schlafende Schöne – Biopolitik und Architektur“ haben die Kuratoren, Peter Volgger und Stefan Graf, am Institut für Architekturtheorie der Universität Innsbruck über mehrere Jahre die Stadt im Spannungsfeld ihres kolonialen Erbes und ihrer postkolonialen Realität untersucht. Neben der Bestandsaufnahme und Dokumentation der italienischen Kolonialarchitektur wurden auch Aspekte wie die Sozial-, Kulturoder Militärgeschichte berücksichtigt und im weiteren Verlauf um eine kritische Dekonstruktion des nostalgischen „Bella Asmara“- Bildes ergänzt.

Das Projekt entwickelt folgende These, die auch Grundlage für die Ausstellung ist: Asmara ist nicht nur ein Ort, an dem ein Ensemble moderner Architektur erhalten geblieben ist, sondern steht paradigmatisch für die Konservierung eines „modernistischen Programms“, welches auch ambivalente ideologische Momente der Moderne beinhaltet. Darüber hinaus konserviert der autoritäre Staat Eritrea in Asmara modernistische Tendenzen inmitten einer postmodernen Welt – ein Experiment, bei dem politische Strategien eingesetzt werden, um das „nation-building-project“ gegen die äußeren Einflüsse der Globalisierung durchzusetzen.

Damit ermöglicht diese Stadt, wie kaum eine andere, eine Analyse unserer aktuellen Lebensrealität. Asmara ist ein Ort für die empirische Reflexion der Gegenwartsgesellschaft, kein Archiv der Erinnerung, sondern ein sich wiederholendes Fallbeispiel. Über die Reklamation des „europäischen Erbes“ hinaus, geht es auch um komplexe Überschneidungen von Urbanismus, Militarismus und Biopolitik, in deren Spannungsfeld die Stadt steht.

Die Ausstellung konzentriert sich sowohl auf einzelne Gebäude – „iconic buildings“ – wie auch auf den urbanen und sozialen Raum. Sie thematisiert Migrationsphänomene, wie das Verhältnis zwischen Stadt und Land, Bevölkerungswachstum und das daraus entstehende Ungleichgewicht. In diesem Sinne ist die Unterscheidung zwischen Architektur als Repräsentation und Urbanismus wichtig. Asmara ist das Produkt komplexer Strategien der Aneignung, denn die Eritreer haben die koloniale Architektur übernommen, auch indem sie das touristische Potential ihres Erbes entdeckten. Andererseits zeichnet sich eine ideologische Form der Instrumentalisierung dieses Erbes ab, da die eritreische Regierung dieses als Ikone für das eigene „nation-building-project“ verwendet. Neben den politischen und offiziellen Planungsstrategien entwickelt sich aber auch ein „Urbanismus des Alltags“, der zeigt, wie Menschen trotz schwieriger ökonomischer Verhältnisse – Eritrea zählt zu den ärmsten Ländern der Welt – kreative Nutzungen für die einzigartige Architektur ihrer Stadt finden.

Einen Einblick in das alltägliche Asmara und die komplexe politische und städtebauliche Geschichte gewinnt man auf der Galerie der aut: lounge – hier verweben sich der Blick von außen mit dem von innen, Fakten, Daten und Planmaterial mit atmosphärischen Eindrücken. Ein großes Stadtmodell erläutert die verschiedenen Schichten der Stadtentwicklung während der Kolonialzeit. Über diese Layer lassen sich die unterschiedlichen Planungsstrategien der kolonialen Verwaltung entziffern, die von Beginn an auf einer ethnischen Trennung zwischen den europäischen Vierteln und den Vierteln der einheimischen Bevölkerung basierten. Stadtplanung wird hier zu einem wichtigen Instrument um die Gesellschaft neu zu ordnen.

Zwei Filmarbeiten sowie Mappen mit Fotografien von Paul Ott und Günter Wett vertiefen und ergänzen diese „abstrakte“ Erzählung der Planung auch um Geschichten aus dem täglichen Leben der Bewohner und Bewohnerinnen. Ein weiterer Raum widmet sich einer Auswahl von acht Bauten, die mittels Architekturmodellen, Texten und Plänen sowie Fotografien, u. a. von Paul Ott, Katharina Paulweber und Günter Wett, beschrieben werden. Gezeigt wird ein Querschnitt der verschiedenen Gebäudetypologien, von der Villa zum Wohnblock, von der Tankstelle zum Kino, von der Bar zum Hotel. Darunter Ikonen wie die futuristisch anmutende Fiat Tagliero Tankstelle, das Cinema Roma, oder die Bar Zilli – noch heute ein Szenetreff des Nachtlebens. Geplant wurden diese meist von jungen italienischen Architekten, die damals nach Eritrea auswanderten, um dort ihre Ideen und Konzepte zu verwirklichen.