18.12.2015–16.1.2016

Projects Nobody Asked For

Adresse
Bernerstrasse Nord 180, 08064 Zürich Map
Öffnungszeiten
Fr 14.00–18.00 Uhr, Sa 12.00–17.00 Uhr

Bernerstrasse Nord 180 | 8064 Zurich | info@baltsprojects.com
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Projects Nobody Asked For
Ausstellung: 18. Dezember bis 16. Januar 2016

Antworten auf ungestellte Fragen
Architektur Machen heisst Gestalten in Unfreiheit, im Dienste von Auftraggebern, eingeschnürt in ein Korsett, bestehend aus sozialen, wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen. Gebaute Architektur ist immer ein Kompromiss, resultierend aus einem Planungsprozess, in dem verhandelt, hinterfragt, kreiert und kostenoptimiert wird.

Am Ende zählt jedoch die räumliche Qualität, die weder mit Messgeräten noch ausgeklügelten Tabellen quantifizierbar ist. Man kann den Wert eines berührenden Raumes, einer umwerfend schönen Proportionierung oder räumlichen Spannung nicht in Geld aufwiegen. Deshalb ist die Frage nach dem Wert guter Architektur, wie sie spätestens seit dem Bilbao-Effekt von Standortoptimierern diskutiert wird, letztlich irrelevant. Was zählt ist nicht der Wert, sondern der Sinn einer Architektur.

Die Beiträge der Ausstellung „Projects Nobody Asked For“ erwirtschaften keine Rendite und sind in diesem Sinne wertlos. Sie sind aber nicht sinnlos, denn auch nicht realisierte oder unbaubare Projekte sind  Architektur, wenn auch in einem pränatalen Stadium. Sie zeigen auf mehr oder weniger starken Vereinfachungen basierende Ideen, die für sich stehen und deren Verwertbarkeit offensichtlich nicht im Zentrum des Interesses gestanden haben kann. Sie entstanden beim Entwerfen ins Blaue hinein, ohne Auftraggeber, Realisierungschance oder Bezahlung, denn Architekturideen sind weder Wissenschaft noch Kunst, weswegen sie weder von der Industrie noch von einem aus Stipendien und Preisen bestehenden Fördersystem alimentiert werden.

Aber warum brütet man in Zeiten ökonomischer Prosperität und voller Auftragsbücher über Darstellungsmethoden der Kräfte, die auf die Stadt einwirken? Wieso muss heimlich ein Killerhase in einem Gipsmodell, welches ahnungslose Architekturstudierende gegossen hatten, bei Nacht und Nebel fotografisch festgehalten werden, zigmal? Die Antwort wissen vielleicht nicht einmal die Verfassenden mit Bestimmtheit. Die Architekturgeschichte zeigt, dass Entwürfe aus „Eigeninitiative“- ein Pleonasmus, der auf Webseiten selbstdeklarierter innovativer Architekturbüros grassiert – wohl so alt sind, wie die Architektur selbst. Sie sind Trockenübungen – von den Widrigkeiten des Alltags entkoppeltes Gedankenspinnen. Aber hat es sich damit?

Es besteht nun doch eine Parallele zu den Wissenschaften, die zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung unterscheiden. Grundlagenforschung ist nutzlos, aber nicht sinnlos: Die Konsequenzen des neuerlangten Wissens sind nicht voraussehbar, man vertraut jedoch aus Kenntnis der Wissenschaftsgeschichte darauf, dass sich konkrete Anwendungen ergeben werden. So entstanden unseren Alltag bestimmende Dinge, wie das Internet oder der Laser beiläufig, ohne dass es dafür konkrete Aufträge gegeben hätte. In Entsprechung dienen „Projects Nobody Asked For“ dem Erkenntnisgewinn, der Findung von möglicherweise universell anwendbaren Ideen. Denn gute Architektur bedingt zu allererst gute Ideen, die weder durch Geld noch durch unzählige Stunden akribischer Fleissarbeit ersetzbar sind. Was oftmals in der Stille der Nacht in Hinterzimmern der Architekturbüros entstand, soll nun im Sinne einer Auslegeordnung für einmal sichtbar gemacht werden.

Versucht man die Projektauswahl zu kategorisieren, so finden sich hypothetische Häuser in der Landschaft von Pascal Flammer, smarch, Kawahara Krause Architects und Philipp Schärer, wobei letzterer in bester utopischer Tradition („ou-topos“ heisst ortlos) die Landschaft gleich mitentworfen hat.

Verankert im dörflichen oder städtischen Kontext sind mazzapokoras dramaturgische Dorfsilhouetten und Frei + Saarinens Moschee, die das Schweizer Minarettverbot umgeht. Religion und deren Repräsentation ist auch das Thema von Philip Loskants Sakralkörper – eine Chimäre aus diversen Modellbausätzen.

Inszenierung gefundener Mikroräume – seien es Alltagsgegenstände oder „gesquattete“ Gipsmodelle ahnungsloser Architekturstudenten finden sich bei Atelier Scheidegger Keller und bei Kasia Jackowska, die in einer zweiten Arbeit einen Idealentwurf für eine Bar zeigt, die der idealen Stadt des XXI. Jahrhunderts von Myriam Bönninghausen gegenübergestellt ist.

Vergleichsweise realitätsnah sind Mikel Martinez‘ und Alain Roserens‘ Vorschläge, welche die soziale Interaktion und Aktivitätsdichte im gegebenen Kontext stimulieren – ein Wagen der Schweizer Bundesbahnen sowie der suburbane Raum um Zürich.

Die isolierte Auseinandersetzung mit räumlichen Einzelphänomenen,  Fügungsprinzipien und Bauteilen zeigen Bojana Miskelijn, Club Club und WALDRAP, deren Ultimate Schoolhouse stellvertretend für die projektübergreifende obsessive Auseinandersetzung mit dem idealen Konstruktionsknoten aus Stützen und Balken steht.

Retro-Futurismus haucht durch das aufblasbare Projekt Fortress von wojr, das als einziges tatsächlich realisiert wurde, was smarch’s und Christian Waldvogels Projekt für eine Schweizer Landesbibliothek in näherer Zukunft wohl kaum vergönnt sein wird.

Währenddem weitere formalästhetische Experimente unter Anwendung noch zu entwickelnder Technologien in Sinne von Science-Fiction bewusst  ausgeklammert wurden, sind mit der Camenzind-Redaktion und Foreign Architects Switzerland ebenso intelligent wie provokativ schreibende Herausgebende vertreten, die weder Kosten noch Mühen scheuen, um Architektur zu diskutieren und vermitteln.

Sergej Klammers Arbeiten übertragen den Gedanken der Beantwortung ungestellter Fragen in den Kontext der Galerie von BALTSprojects: Auf die Anfrage, ob er räumlich-architektonische Projekte beizusteuern hätte, liefert er Apparate bei – wahrhaftige „Projects The Curators Didn‘t Ask For“…