Bauhaus Shanghai Stalinallee Ha-Neu
Erst mit der Moderne tritt der immanente Widerspruch von Avantgarde und Tradition zutage. Der Lebensweg des Architekten Richard Paulick folgt der Sinuskurve des 20.Jahrhunderts: zwischen dem Bauhaus auf dem einen Pol hin zum Bauen in nationalen Traditionen an der Stalinallee als entgegengesetztem Pol und zurück zur erneuten Hin- wendung zur Moderne im industriellen Bauwesen der DDR. Diese Schwingung hatte eine Periodendauer von etwa 30 Jahren.
Das Bauhaus-Jubiläum bot uns den Anlass, hier erstmals in Form einer Ausstellung und auf der Grundlage eigener Nachforschungen die Arbeitsbiographie Paulicks zusammenhängend nachzuzeichnen. Im selben Moment, da man das Bauhaus Anfang der 1950er Jahre in der DDR als «formalistisch» und «kosmopolitisch» verdammte, wurde ein Bauhäusler «Leiter des Aufbaustabs der Stalinallee»! Dabei hatte sich Paulick anfangs gegen die historistische Wende im Bauwesen der DDR gewehrt. Ist sein Anteil beim Bau des ersten Bauabschnitts der Karl-Marx-Allee mittlerweile anerkannt, sind dagegen seine Leistungen beim Wiederaufbau des Lindenforums und seine Entwürfe für das Berliner Zentrum – auch im Kontext der aktuellen Debatten über die Zukunft des Areals um den Berliner Fernsehturm – erst noch umfassend zu würdigen. Als dann ab Mitte der 1950er Jahre die Industrialisierung des Bauwesens und die Rückkehr zur Moderne auf der Tagesordnung stand, war Paulick der geeignete Mann, den Aufbau ganzer neuer Städte zu leiten. Hoyerswerda, Schwedt, Halle-Neustadt markieren die Stationen.
Paulick ging es stets darum, ebenso funktionale wie plastisch-markante Bauwerke und differenzierte Räume zu gestalten. Einer der bedeutendsten Architekten der DDR ist noch zu entdecken.
Thomas Flierl · Vorsitzender der Hermann-Henselmann-Stiftung
Die aus Anlass der Triennale der Moderne 2019 produzierte Ausstellung der Hermann-Henselmann-Stiftung ist nun in erweiterter Form vom 26. Juni bis 23. August 2020 im Bauhaus-Gebäude in Dessau zu sehen.
Die Ausstellung zeichnet den Lebensweg des Architekten Richard Paulick nach: vom Bauhaus Dessau, über seine Zeit in Shanghai und das Planen und Bauen in nationalen Traditionen im Zentrum Berlins, an der Stalinallee und in Dresden, bis zur erneuten Hinwendung zur Moderne in den Neubau-Städten Hoyerswerda, Schwedt und Halle-Neustadt.
Neu in Dessau: Briefe aus dem Besitz von Natascha Paulick, der Enkelin des Architekten, die die Sondierung seiner Perspektive von Shanghai aus belegt (u.a. Korrespondenz mit Walter Gropius und Xanti Schawinsky). Mit ihren Fotografien in Berlin und Halle-Neustadt nähert sie sich auf eine atmosphärisch-subjektive Art dem Schaffen ihres Großvaters.
Zur Ausstellungseröffnung in Dessau erschien das von Thomas Flierl im Lukas Verlag Berlin herausgegebene gleichnamige Buch, das nicht nur die Ausstellung dokumentiert, sondern ergänzende Essays von Andreas Butter, Gabi Dolff-Bonekämper, Simone Hain, Ulrich Hartung, Li Hou, Eduard Kögel, Tanja Scheffler, Oliver Sukrow und Wolfgang Thöner enthält.
Mit freundlicher Unterstützung der Lotto-Stiftung Berlin, der Rosa Luxemburg Stiftung und der Stiftung Bauhaus Dessau.