Harun Farocki, Antje Ehmann

Arbeitsverhältnisse
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„Die Philosophie fragt: Was ist der Mensch? Ich frage: Was ist ein Bild? In unserer Kultur haben die Bilder zu wenig Bedeutung. Die Bilder werden in Dienst genommen. Man befragt die Bilder, um Informationen zu erlangen, und nur die Informationen, die man in Worten und Zahlen ausdrücken kann.“ (Harun Farocki)

Dass etwas sichtbar werden kann in Bildern, wenn man diese sorgfältig und kritisch in den Blick nimmt, sie in neue Zusammenhänge setzt oder anders verbindet, wurde in Harun Farockis Filmen zu einem vertrauten Erkenntnisgewinn. Denn er widmete sich Zeit seines Lebens der Sichtbarmachung von Unsichtbarem, beobachtete die Konstruktion von medialen Welten und dechiffrierte die Instrumentalisierung der Kameras und Monitore als Überwachungs- und Kontrollapparate.

Harun Farocki zählte zu den avanciertesten Filmemachern seiner Generation und prägte mit seinen fast neunzig Essay-, Dokumentar-, Kurz- und Spielfilmen das gesellschaftspolitisch orientierte Kino ab den 1970er Jahren. In der etablierten Filmszene blieb er anfänglich ein Außenseiter, arbeitete über viele Jahre für das Fernsehen und als Autor für die Zeitschrift „Filmkritik“, produzierte Hörfunkbeiträge und war unter anderem Dramaturg am Theater. Ab den 1990er Jahren wirkte Farocki vermehrt im Kunstbetrieb und wurde vor allem durch seine medienkritischen und „politischen“ Videoinstallationen bekannt.

Mit seiner Frau, der Künstlerin Antje Ehmann, entwickelte er ab den späten 1990er Jahren sowohl eigenständige Arbeiten, als auch gemeinsam kuratierte Projekte und Ausstellungen. So zeigten sie etwa 2005 im MUMOK in Wien mit „Einseitig perforiert, schmaler Steg“ eine Auswahl von 16 mm-Filmen oder kuratierten für die Generali Foundation in Wien die Ausstellung „Kino wie noch nie“.

In der in Zusammenarbeit mit Antje Ehmann konzipierten Ausstellung „Arbeitsverhältnisse“ im aut ist eine Auswahl von Filmen von Harun Farocki zu sehen, die sich insbesondere mit Themen der Architektur, der Stadt und den räumlichen Inszenierungen des Konsums beschäftigen. Außerdem wird eine Auswahl jener Kurzfilme gezeigt, die im Rahmen von „Eine Einstellung zur Arbeit“, dem letzten gemeinsamen Projekt von Harun Farocki und Antje Ehmann entstanden. Bei Workshops in 15 Städten rund um die Welt animierten sie dafür lokale Filmemacher und Videokünstler, Kurzfilme über unterschiedliche Arbeitswelten zu realisieren, die in ihrer Summe einen spannenden Einblick in das globale Arbeitsleben bieten.

Ein Bild (1983)
In dem 1983 entstandenen Film dokumentierte Harun Farocki, wie in einem Studio an vier Tagen an einem Bild gearbeitet wird, das auf die Mittelseite der Zeitschrift Playboy kommen soll. „Die nackte Frau in der Mitte ist eine Sonne, um die sich ein System dreht: Kultur, Geschäft, zu leben!“ (Harun Farocki)

Die Schöpfer der Einkaufswelten (2001)
Shopping Malls sind an sich eine vertraute Umgebung. Harun Farockis Film zeichnet ein Bild davon, wie sehr diese das Ergebnis eines hochkomplexen Vorgangs sind – von der Standortsuche über die Gestaltung der Mall und die einzelnen Geschäfte bis zur Anordnung der Waren im Regal.

Zum Vergleich (2009)
Der Film konzentriert sich ausschließlich auf den Ziegelstein. Er zeigt die Arbeitsschritte bei der Herstellung des Baumaterials in verschiedenen Ländern in Afrika, Indien und Europa, wie Ziegel per Hand, Maschine oder Roboter gegossen, gebrannt oder gepresst wird. Die Bilder sind kommentarlos aneinandergereiht, der Akt des Vergleichens liegt beim Zuschauer.

Ein neues Produkt (2012)
Ein Jahr lang begleitete Harun Farocki mit der Kamera die Unternehmensberater der Hamburger Agentur Quickborner Team – eine auf die Entwicklung moderner Großraumbüros spezialisierte Firma, die u. a. für Unilever an der Planung der Unternehmenszentrale in der Hamburger Hafencity mitgearbeitet hat.

Sauerbruch Hutton Architekten (2013)
Besprechungen zu sechs Projekten in verschiedenen Phasen – vom Konzeptentwurf bis zur Abnahme durch die Bauherren – stehen im Mittelpunkt des Dokumentarfilms, für den Harun Farocki sechs Monate mit dem Berliner Architekturbüro von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton verbrachte.

Antje Ehmann, Harun Farocki: Eine Einstellung zur Arbeit (seit 2011)
Eine Einstellung zur Arbeit ist ein Projekt, das Antje Ehmann und Harun Farocki seit 2011 betrieben haben. In fünfzehn Städten weltweit wurden Workshops initiiert, in denen Videos in einer Länge von ein bis zwei Minuten produziert wurden, aufgenommen in einer einzigen Einstellung. Der Untersuchungsgegenstand ist die „Arbeit“: bezahlte oder unbezahlte, materielle oder immaterielle, traditionsreiche sowie die gänzlich neue. Eine Auswahl der dabei entstandenen Videos wurde ab 2013 in einer Serie von Ausstellungen gezeigt. In Innsbruck sind die Resultate aus neun Workshopstädten zu sehen: Bangalore, Boston, Buenos Aires, Hangzou, Hanoi, Johannesburg, Kairo, Lodz und Mexiko City.

Harun Farocki
geb. 1944 in Novy Jicin (Neutitschein), gelegen in dem damals von den Deutschen ­annektierten Teil der Tschechoslowakei; 1966 – 68 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (West); 1974 – 84 Autor und Redakteur der Zeitschrift Filmkritik, München; 1993 – 99 visiting professor an der University of California, ­Berkeley; ab 2004 Gastprofessor, von 2006 – 11 ordentlicher Professor an der Akademie für Bildende Künste, Wien; gestorben 2014 in Berlin

Filme (Auswahl)
seit 1966 über 120 Produktionen für Fernsehen oder Kino, Kinderfernsehen, Dokumentarfilme, Essayfilme, Storyfilme und Installationen zuletzt u. a. 1995 Schnittstelle; 2000 Gefängnisbilder; 2001 Die Schöpfer der Einkaufswelten; 2003 Erkennen und ­Verfolgen; 2004 Nicht ohne Risiko; 2007 Übertragung; Deep Play; Aufschub; 2009 Zum Vergleich; 2010 umgießen; Das Silber und das Kreuz; 2009 – 10 Ernste Spiele I–IV; 2011 Tropen des Krieges (mit Antje Ehmann); 2012 Ein Neues Produkt; 2013 ­Sauerbruch Hutton Architekten

Antje Ehmann
geb. 1968; Kuratorin, Autorin und Künstlerin; 1988 – 95 Studium der Philosophie, Literatur- und Medienwissenschaft; 1995 – 99 Mitarbeiterin im Team der Duisburger Filmwoche und der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen; 1999 – 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt Geschichte des dokumentarischen Films 1895 – 1945; 2004 Filmrecherchen und Installations-Arbeiten für das Projekt „Shrinking Citys“; lebt und arbeitet in Berlin